Rufus' Tagebuch

    • Offizieller Beitrag

    Tagebucheintrag Soldat:


    Mein Name ist Rufus aus dem Königreich Oriam. Ich schreibe diese Zeilen, um die Geschehnisse der letzten Zeit zu verarbeiten.
    Eigentlich fing alles damit an, dass ich mich freiwillig für den Dienst bei der Armee meldete, da mein Vater der Meinung war, das würde aus mir einen "richtigen Mann" machen. Ich konnte damals ja noch nicht ahnen, dass man mich einziehen würde, um Avalon zu verteidigen. Natürlich hatte ich schon einige Geschichten von Avalon gehört, der Festung der Könige. Aber als mir zu Ohren kam, dass die Burg von mehreren Tausend Mann einer fremden Rasse, genannt Sha'Ahoul, belagert würde und ich dorthin geschickt werde, war mir schon etwas mulmig zumute.
    Von den Kämpfen außerhalb der Zitadelle bekam ich allerdings nur wenig mit. Den Großteil meiner Zeit in Avalon verbrachte ich mit Wachdienst. Es wurden selten Soldaten ausgeschickt. Und wenn doch, kamen nur wenige wieder zurück. Wir standen unter Belagerung und fühlten uns eingepfercht wie Vieh. Es gab nicht genug zu essen und wir alle hatten Angst, in der Festung einfach zu verhungern. Bis eines Tages die Meldung durchkam, dass eine Flotte Schiffe den Fluss Voél hinaufsegelt, um Lebensmittel und Soldaten als Verstärkung zu uns zu bringen. Ich war einer der vielen Soldaten, die am Kai aufgeregt auf die Ankunft der Flotte warteten. Umso ernüchternder war die Tatsache, dass nur ein Schiff es bis nach Avalon geschafft hatte. Der Rest der Flotte war von den Sha'Ahoul versenkt worden und auch die Besatzung des Schiffes, das es geschafft hatte, verzeichnete viele Opfer. Die Verpflegung bestand lediglich aus ein paar Sack Getreide, alles andere lag auf dem Grund des Voél. Und so zog Monat um Monat ins Land, mit knurrendem Magen und Heimweh.


    Meine Zeit in Avalon kann ich nicht gerade als spannend beschreiben. Ich war zwar glücklich, nicht in einen Kampf verwickelt zu werden, aber der Wachdienst wurde mit jedem Tag langweiliger. Auch der Plausch mit den Kameraden blieb irgendwann aus, weil man sich einfach nichts neues zu erzählen hatte. Die meiste Zeit schob ich Dienst in der Außenburg und im Außenhof. Manchmal aber wurde ich auch in den Burgfried geschickt, um die Lebensmittelvorräte zu bewachen. Ein undankbarer Posten. Ich war zwar froh darüber, etwas mehr von der Burg zu sehen, aber die Lagerräume vor anderen hungrigen Soldaten zu bewachen, ist alles andere als ehrenhaft. Einmal musste ich sogar mein Schwert ziehen, um einen plündernden Mann zu verscheuchen, der sich an den Vorräten vergangen hatte. Ich habe ihn nicht verletzt und dennoch tat er mir leid. Denn es erging uns allen ähnlich. Wie gerne hätte ich selbst einmal genascht, wenn einer meiner Kameraden nicht hinsah, aber ich blieb eisern und erfüllte meine Aufgaben, wie man es von mir verlangte. Dennoch blieb meine Hauptaufgabe der Wachdienst in der Burg.


    Irgendwann hörte ich unter den Soldaten Gerüchte über einen jungen Offizier, der in kürzester Zeit zu einer Art Held geworden war. Er war der Bruder von Leutnant Corvus und beeindruckte die Leute durch seine Taten. Ich hörte, dass er seinen Bruder aus dem Dorf vor Avalon befreit hat und gleichzeitig auch den sogenannten Kelch des Lebens aus der Kirche mitbrachte. Ich glaube ja nicht an solchen Hokuspokus, aber dieser Kirchenkelch hat den Kriegern wieder neuen Mut gemacht. Alles in allem hat dieser Kerl nur Gutes bewirkt und insgeheim war ich ein bisschen neidisch auf ihn. Ich war schon viel länger in der Burg und musste trotzdem jeden Tag den gleichen langweiligen Wachdienst schieben, während er im Auftrag von Sir Roth höchstpersönlich irgendwelche Gespenster jagt. Er wurde sogar von Meisterkundschafter Mudam hinaus geschickt, um das Lager des Feindes auszukundschaften. Ich hätte das für kein Geld der Welt machen wollen, aber es zeigt, wie viel Vertrauen und Hoffnungen in diesen jungen Offizier gesetzt wurden. Das ist auch der Grund, warum ich so neidisch auf ihn war. Ich tat jeden Tag meine Pflicht, erfüllte die Aufgaben, die mir gestellt wurden, genau wie er. Aber was erwarte ich, wenn er der Bruder von Corvus ist. Die beiden sind aus dem selben Holz geschnitzt und sehen sich auch noch zum Verwechseln ähnlich. Dieser Corvus ist nämlich auch ein ziemlich zäher Brocken.


    Eines Tages, ich hatte gerade wieder Wachdienst im Erdgeschoss der Außenburg, gab es am Südtor einen großen Tumult und plötzlich rannten viele Soldaten bewaffnet in den Außenhof. Ich hatte schon so eine Ahnung, dass etwas Schlimmes passiert sein musste, als Hauptmann Avorous die Treppe hinuntergelaufen kam und mir und meinen Kameraden befahl, alle Türen und Treppen zu verbarrikadieren und die Tische und Stühle aus dem Speisesaal als Blockaden aufzustellen. Unser schlimmster Alptraum war Wirklichkeit geworden: die Sha'Ahoul hatten eine Bresche in den Südtorwall geschlagen und die Burg gestürmt. So saßen meine Kameraden und ich zusammengekauert und mit gezogenen Schwertern hinter einem Esstisch und warteten am ganzen Körper zitternd darauf, dass die Außenhoftür aufbrach und die Feinde in die Außenburg stürmten. Aber das Tor hielt. Von draußen hörten wir die Schlacht toben und wir konnten nicht helfen. Nicht dass ich unbedingt hätte kämpfen wollen, aber viele meiner Kameraden waren da draußen. Doch wir hier drinnen waren eingeteilt, die Außenburg zu verteidigen. Wir waren das letzte Bollwerk, sollte der Feind die Burg überrennen. Dabei waren wir nur eine handvoll Männer und machten uns vor Angst fast in die Hosen.
    Ab und zu huschten Wachen, Offiziere und auch Ritter an uns vorbei, um an der Schlacht im Außenhof teilzunehmen. Einige Male sahen wir auch den Offizier, von dem immer alle sprachen. Er und seine Gefährten liefen immer wieder Richtung Außenhof und zurück, scheinbar holten sie sich Befehle von Captain Calvaric, der das Kommando über die Truppen übernommen hatte, seit Sir Roth gegen den Anführer der feindlichen Schar sein Leben gelassen hatte. Nach endlosen Stunden rief ein Offizier uns zu, wir sollten raus in den Außenhof, da wir mit so wenig Männern die Außenburg im schlimmsten Fall eh nicht verteidigen könnten. Und auf einmal waren wir mittendrin. Überall nur Tote und Verwundete und dann diese Schreie. Ich wusste gar nicht so recht, was ich machen sollte, bis ein Offizier mich rüde am Arm packte und wild mit den Armen vor mir gestikulierte. Ich zog mein Schwert und lief ziellos durch den Außenhof. Überall waren Kämpfe, wohin ich auch sah. Und plötzlich stand ein Sha'Ahoul vor mir. Ich hatte ja noch nie einen gesehen und so stand ich beinah starr wie eine Salzsäule da. Ich fühlte mich wie in Trance und kämpfte auch so. Ich bekam um mich herum nicht mehr viel mit und war verwundert, als der Sha'Ahoul vor mir blutend auf dem Boden lag.
    Ich weiß nicht, wieviele Feinde ich getötet habe, noch wie ich diese Schlacht überhaupt überleben konnte. Irgendwann hörte ich einen Soldaten von den Zinnen her schreien, dass Mithras, der Anführer der Feinde, von unserem neuen Helden besiegt worden sei. Dennoch stieg keine Freude in mir auf, so benommen war ich durch das viele Leid und das Sterben der Menschen um mich herum. Ich kämpfte dennoch weiter und tötete einige der letzten Sha'Ahoul, die sich noch im Außenhof befanden, bis die Kavallerie des Königreiches Taberland eintraf und die feindliche Nachhut vollends zerschlug. Avalon ist an jenem Tag gerettet worden. Für die einen war es der Verdienst der taberländischen Armee, für die anderen der junge neue Held. Für mich jedoch ist es der Verdienst von uns allen. Jeder hat den Ausgang dieser Schlacht mit beeinflusst. Der Held, der den Anführer der Feinde besiegt, der Soldat, der sein Schwert in der Schlacht schwingt sowie der Wachmann, der jeden Tag auf seinem Posten steht.


    Nach der Schlacht gab es noch einige Festlichkeiten und Versammlungen. Ein Gelehrter und eine Magierin aus Fornax feierten ihre Hochzeit im Thronsaal. Unser König Ryence von Oriam dankte ab und übergab sein Zepter an den schmierigen Händler Olon, der mich einmal um meinen ganzen Soldatensold prellte. Seine Ehefrau, Königin Nanesi, wurde aus seltsamen Gründen aus dem Königreich Oriam in die einsame Steppe verbannt.
    Und damit endet auch meine Zeit in Avalon. Ich gehe nach Hause, zurück zu meiner Familie, um meinem Vater zu sagen, dass das Leben als Soldat mich wirklich zu einem Mann gemacht hat. Zu einem gebrochenen Mann.



    Tagebucheintrag Ende.

    Und Gott sprach:
    "Lächle und sei froh, es könnte schlimmer kommen."
    Und so lächelte ich und war froh
    ... und es kam schlimmer.